LA LITA VOM STRASSENKIND ZUR WELTBERÜHMTEN KÜNSTLERIN

Lita Cabellut (1961) gilt als eine der wichtigsten spanischen Künstlerinnen unserer Zeit. Seit ihrem 19. Lebensjahr lebt sie in den Niederlanden, wo sie im Jahr 2021 zur 'Künstlerin des Jahres' ernannt wurde. Sie ist vor allem als Jurymitglied der Fernsehserie "Project Rembrandt" bekannt, einer niederländischen TV-Serie aus den Jahren 2019 und 2020, in der zeitgenössische Amateurmaler auf kreative Weise miteinander konkurrierten.

TEXT WIM DE JONG
FOTOGRAFIE: NOPOINTSTUDIOS

Oké, sie war zwar kurz besorgt, dass sie für diese Geschichte in einem roten Flamenco-Kleid und mit Kastagnetten posieren müsste, aber auch ohne solche Verkleidung merkt man schnell, dass man es mit einer echten und sehr besonderen Spanierin zu tun hat. Setzen Sie sich für ein Gespräch an ihren Küchentisch und als Interviewer wissen Sie sofort nicht besser, als hätten Sie die Frau Ihres Lebens getroffen. Wow, dieses Feuer, das man ständig in ihren Augen brennen sieht, wenn sie ihre Lebensgeschichte erzählt und über ihre Kunst spricht. Und, verdammt, dieses liebevolle Temperament, mit dem sie in ihrem wunderschönen Studio und Wohnhaus im Herzen von Den Haag über ihre Kinder und ihre acht Mitarbeiter wacht. Es ist also nur logisch, dass sie alle sie lieben, und du bist wie durch Zaubertrick innerhalb weniger Minuten auch schon dabei.

TYPISCHE 'SPANISCHE MUTTER'

So ungebunden und freiheitsliebend sie seit ihrer Kindheit auch ist, so selbstverständlich ist gleichzeitig die Wärme, die La Lita ausstrahlt. „Ich kann es nicht verbergen: Ich bin und bleibe eine typische spanische Mama. Ständig für alle da und daher auch eine Einmischerin. Ich zähle alle Menschen, die ich liebe, zu meiner unmittelbaren Familie. Und Familie ist für mich alles, alles, alles. Auch wenn ich bis zum Hals in Arbeit stecke, möchte ich immer wissen, ob jemand gut für sich sorgt und ob ich nicht schnell ein Ei für ihn oder sie braten sollte.“ Lachend: „Tja, das ist mein kulturelles Erbe. Es liegt einfach in meiner DNA.“ Diese DNA von Lita Cabellut ist auch ansonsten ein Augenschmaus. Sie verfügt über ein einzigartiges Talent als bildende Künstlerin. Mit 62 Jahren ist sie zudem immer noch die ungeschliffene und bezaubernde Erscheinung, die viel von ihrer Sinti-Herkunft verrät. Und auch weil sie bis zu ihrem vierzehnten Lebensjahr als Straßenkind im Rotlichtviertel von Barcelona herumstreunte, schöpft sie aus einer Lebenserfahrung, die bis heute nur Weisheit, Positivismus und einen unglaublichen Antrieb hervorgebracht hat.

MAGISCHE SCHLÜSSEL

Lita: „Ich sehe mein Leben als eine Reihe langer Wanderungen durch ständig wechselnde Landschaften. Wie jeder andere auch hatte ich dabei Hindernisse zu überwinden. Dennoch wusste ich, dass ich jede Landschaft durchqueren musste, weil alles, was ich dort erlebte, nur vorübergehend war. Meine Kindheit hat mich geprägt, nicht traumatisiert. Ich habe von Natur aus die Einstellung, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie kommen. Und sie auch wieder loszulassen. Sie haben mich nicht festgehalten. Ich bin kein Opfer dessen, was mir einst widerfahren ist.“ Ihre positive Einstellung verdankt Lita unter anderem dem „magischen Schlüssel“, mit dem sie nach eigenen Angaben geboren wurde. Als junge, von ihrer Mutter verlassene Ausgestoßene pflückte sie Sterne vom Himmel, die sie Passanten auf dem Bürgersteig schenkte. Und noch etwas Besonderes: Sie aß Blumen, um sich mit Schönheit zu nähren. Die Gemälde in ihrem beeindruckenden, international ausgestellten und verkauften Œuvre sind unter anderem das Ergebnis davon. „In meiner Arbeit kann ich die Schönheit, nach der ich immer gesucht habe, greifbar machen. Es ist nicht mehr nur eine Leinwand mit Farbe, also gewöhnliche Materie. Es ist zu Energie, Emotion und Vorstellungskraft geworden.

Wenn ich aufhören würde, Kunst zu machen, würde ich aufhören zu leben.

VERLIEBT IN DIE NIEDERLANDE

Als Teenager wurde Lita von einer steinreichen Madrider Familie adoptiert, die ihr ein völlig anderes, nämlich vornehmes Leben ermöglichte, in dem sie tatsächlich sehr glücklich war. Dennoch sagte sie auch, dass sie sich mit neun Jahren für immer von dieser „Landschaft” verabschiedete, als sie die Chance bekam, in Amsterdam an der Rietveld-Akademie zu studieren. An dieser Kunsthochschule, die damals die renommierteste Europas war, lag ihr eine neue Welt zu Füßen. „Ich sprach weder Niederländisch noch Englisch und war oft eine Außenseiterin, aber ich habe mich sofort in die Niederlande verliebt. All die verschiedenen Nationalitäten, die hier zusammenleben, und der offene, humanitäre Charakter der Gesellschaft – ich fand es fantastisch.” Noch heute kann Lita schwärmerisch darüber berichten, wie sehr sie ihre zweite Heimat in ihrem Herzen trägt. „Ich träume sogar auf Niederländisch.” Wenn sie wieder einmal für eine Ausstellung oder eine Arbeitsbesprechung in Spanien ist, vermisst sie ihr Atelierhaus in Den Haag und ihr zweites Zuhause in Bergambacht unaufhörlich. In letzterem, einem von zweitausend selbst gepflanzten Bäumen umgebenen Bauernhaus, verbringt sie in der Regel ihre Wochenenden. Die wenige Freizeit, die nicht vollständig mit Malen ausgefüllt ist, verbringt sie mit ihrer Familie.

WEITERMACHEN ODER WEITERMACHEN?

Frage an Lita: Ist es vorstellbar, dass sie - schließlich sind es nur noch ein paar Jahre bis zu ihrer Rente - ihre Kunst irgendwann ganz aufgibt und in den wohlverdienten Ruhestand geht. Ihre Antwort: "Ha, diese Frage beschäftigt mich auch. Warum mache ich weiter, abends bin ich doch genauso müde wie jeder andere? Aber ich kann die Zusammenarbeit nicht lassen. Arbeiten ist die Verlängerung meines Atems. Wenn ich mit der Kunst aufhöre, höre ich auf zu leben, das weiß ich sicher." Aber ich sehe da schon ein Strickzeug auf deinem Sofa liegen. Du hast also schon ein Hobby, Lita. "Hahaha, das ist kein Strickzeug. Das sind einfach nur meine Socken!"